#1/22

Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung

Der BDFR bedankt sich für die Möglichkeit, eine Stellungnahme zu dem Referentenentwurf des 2. AO-ÄndG abzugeben. Wegen der kurz bemessenen Frist zur Stellungnahme beschränken wir uns auf folgende Punkte:

Art. 1 Nr. 5

Der BDFR begrüßt grundsätzlich, dass der Gesetzgeber an dem Prinzip der Vollverzinsung festhalten will. Das System der Vollverzinsung hat sich in der Rechtspraxis bewährt.

Allerdings ist der vorgesehenen Neuregelung auf der Basis der Vollverzinsung nicht zuzustimmen. Der Referentenentwurf stellt aus unserer Sicht nur die zweitbeste Möglichkeit einer Neuregelung dar. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 zwar ausgeführt, ein variabler Zinssatz bewirke nicht per se eine geringere Ungleichheit als ein starrer Zinssatz, da das Ausmaß der Ungleichheit bei beiden Alternativen von der konkreten Ausgestaltung des Zinssatzes abhänge (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021 –1 BvR 2237/14 u.a.–, Rn. 146, juris). Es stellt in diesem Zusammenhang allerdings heraus, dass ein variabler Zinssatz Veränderungen am Kapitalmarkt mit einer geringen zeitlichen Verzögerung und ohne weiteres Zutun des Gesetzgebers abbilden kann. Diesen Kriterien kann ein starrer Zinssatz nur bei kurzen Überprüfungszeiträumen zumindest nahekommen (BVerfG a.a.O.). Damit hat das BVerfG aus unserer Sicht durchaus deutlich gemacht, dass ein variabler Zinssatz gegenüber einem starren Zinssatz vorzugswürdig wäre, weil hierdurch eine geringere Ungleichheit erreicht werden könnte.

Da der Basiszinssatz des § 247 BGB in der Begründung ausdrücklich als Bezugspunkt für die Neuregelung herangezogen wird, regen wir angesichts der dargestellten Ausführungen des BVerfG an, diesen Basiszinssatz - mit einem sachgerechten Zuschlag - als Zinssatz in die AO zu übernehmen. Seit dem SchuldRModG erfüllt der variable sog. Basiszinssatz gemäß § 247 BGB neben dem starren Auffangzins des § 246 BGB gerade die Funktion, die Fluktuation der Marktzinsen abzubilden (vgl. Martens in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 247 BGB, Rn. 1). Zudem kann der Basiszinssatz seine Funktion als allgemeine Referenzgröße erfüllen, weil er jederzeit allgemein zugänglich ist. § 247 Abs. 2 BGB gewährleistet die erforderliche Publizität dadurch, dass die Deutsche Bundesbank den geltenden Basiszinssatz unverzüglich jeweils nach dem 1. Januar und 1. Juli eines jeden Jahres im BAnz bekannt geben muss, im Übrigen auch dann, wenn sich der Basiszinssatz seit dem letzten Termin nicht geändert hat (vgl. Martens in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 247 BGB, Rn. 9).

Die Begründung mit „Rechts- und Planungssicherheit für Bürger, Unternehmen und Finanzbehörden“ und erheblich verminderter Verständlichkeit von Zinsbescheiden „bei sehr häufigen Zinssatzänderungen“ ist aus unserer Sicht nicht überzeugend. Es ist nicht ohne Weiteres ersichtlich, warum für die zivilrechtlich vereinbarten Zinsregelungen andere Voraussetzungen für Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Verständlichkeit gelten sollen als für Zinsbescheide der Finanzbehörden. Weder Unternehmen noch Bürgerinnen und Bürger sind mit der fixen Orientierung am Basiszinssatz mit einer Anpassung im Halbjahresrhythmus überfordert. Sollte - wovon wir allerdings nicht ausgehen - die halbjährige Anpassung die technischen Möglichkeiten der deutschen Finanzverwaltung tatsächlich übersteigen, könnte die Anpassung im Jahresrhythmus erfolgen, jeweils mit dem Basiszinssatz zum 1. Januar eines jeden Jahres.

In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass die Sachgerechtigkeit des hier gewählten Aufschlages auf den Basiszinssatz lediglich behauptet, nicht jedoch weiter begründet wird. Mit der Abgrenzung zum Verzugszins benennt der Entwurf der Gesetzesbegründung nur einen anderen Bezugspunkt, ohne die Sachgerechtigkeit des konkret gewählten Abstandes zu diesen beiden Bezugszinssätzen.

Mit der Bezugnahme auf den Basiszinssatz wäre auch das letztlich intransparente Evaluierungsverfahren entbehrlich. Die Evaluierungsfrist von drei Jahren ist bei der Zinsentwicklung der vergangenen Jahre zwar nachvollziehbar, könnte sich gerade unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG aber als zu lange erweisen. Der Anforderung, Veränderungen am Kapitalmarkt mit einer geringen zeitlichen Verzögerung abzubilden, kann ein starrer Zinssatz ausdrücklich nur mit kurzen Überprüfungszeiträumen nahekommen (BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2021 –1 BvR 2237/14 u.a.–, Rn. 146, juris). Insoweit dürfte bei einer Frist von drei Jahren kaum von einem „kurzen Überprüfungszeitraum“ auszugehen sein. Es ist vielmehr zu befürchten, dass eine solche lange Frist Anlass zu finanz- und verfassungsgerichtlichen Streitverfahren bietet.

Dem kann aus unserer Sicht auch mit der Wendung, „bei signifikanten Änderungen“ könne auch schon früher eine Änderung erfolgen, nicht erfolgreich begegnet werden. Insbesondere in entsprechend dynamischen Zinskonstellationen sind gerichtliche Auseinandersetzungen vorprogrammiert.

Art. 1 Nr. 6 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa

Die Verlängerung der Festsetzungsfrist ist aus unserer Sicht nicht zeitgemäß. In Anbetracht der automatisierten Verwaltung ist ohne weitere Begründung und Ausführungen zum Umfang der Fälle, in denen die einjährige Frist in den letzten Jahren nicht ausgereicht hat, die Notwendigkeit für eine deutlich verlängertes Offenhalten der Fälle nicht erkennbar. Der Hinweis auf § 171 Abs. 10 und 10a AO allein reicht insoweit nicht aus, da man angesichts der Digitalisierung auch bei dieser Ablaufhemmung eher an eine Verkürzung denken sollte.

Mit einer Veröffentlichung der Stellungnahme sind wir einverstanden. Gerne stehen wir auch für weitere Stellungnahmen und Anhörungen zur Verfügung.