#2/23

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

für den Bund Deutscher Finanzrichterinnen und Finanzrichter e.V. (BDFR) bedanken wir uns für die Möglichkeit, zu dem Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Kindergrundsicherung und zur Änderung weiterer Bestimmungen Stellung zu nehmen.

1. Die Grundanliegen, die Kinderarmut zur bekämpfen und für die Berechtigten die Gewährung durch die Bündelung der Leistungen zu vereinfachen, werden vom BDFR grundsätzlich begrüßt.

2. Zutreffend und aus Sicht des BDFR zu begrüßen ist auch die systematische Grundausrichtung des Referentenentwurfs hinsichtlich des Kindergarantiebetrags, der das bisherige Kindergeld ersetzen soll.

Der Referentenentwurf tastet die grundsätzliche systematische Einbettung in das Steuerrecht nicht an, soweit es um den Anspruch unbeschränkt Steuerpflichtiger geht, bei denen das steuerrechtliche Existenzminimum ihrer Kinder durch die Bundesrepublik Deutschland zu gewährleisten ist. Insoweit soll der Anspruch weiterhin im X. Abschnitt des Einkommensteuerrechts über den Familienleistungsausgleich (§§ 62 ff. Einkommensteuergesetz -EStG-) geregelt werden. Nur soweit eine unbeschränkte Steuerpflicht nicht besteht, soll § 3 des Bundeskindergrundsicherungsgesetzes
-BKG-E- in bestimmten Fällen einen Anspruch auf den Kindergarantiebetrag begründen, die § 1 Abs. 1 und 2 des Bundeskindergeldgesetzes
-BKKG- entsprechen. Damit soll das Recht in Zukunft dieselbe Schnittstelle beibehalten, die es bereits derzeit aufweist.

Die Beibehaltung dieser Systematik ist sachlich geboten. Mit begrüßenswerter Klarheit hat das Bundesverfassungsgericht -BVerfG- jüngst noch einmal zutreffend hervorgehoben:

„Soweit das Kindergeld nach § 31 Satz 1 EStG der steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des kindbedingten Existenzminimums dient, handelt es sich materiell um eine steuerrechtliche Regelung […]. Zwar wird das Kindergeld zunächst monatlich und unabhängig von der Besteuerung des Einkommens ausgezahlt. Jedoch wird damit die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Verschonung des Familienexistenzminimums nur vorweggenommen.“

(BVerfG-Beschluss vom 28.6.2022 – 2 BvL 9/14, 2 BvL 10/14, 2 BvL 13/14, 2 BvL 14/14, BVerfGE 162, 277 Rz. 60 m.w.N.).

Das bisherige Kindergeldrecht nimmt folglich innerhalb der Systematik des Einkommensteuerrechts bislang die Funktion ein, neben dem Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 6 EStG das steuerliche Existenzminimum des Kindes zu gewährleisten, m.a.W. das Einkommen der Steuerpflichtigen wegen seines familienangehörigen Kindes insoweit steuerlich zu verschonen. Soll dieser verfassungsrechtliche Auftrag weiterhin effektiv wahrgenommen werden, kann das Kindergeld (zukünftig der Kindergarantiebetrag) nicht aus dem Einkommensteuerrecht herausgerissen werden, zumal gerade niedrigverdienende Steuerpflichtige oder solche, die gar keine Einkommensteuer zahlen müssen, durch den Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG gar keine, jedenfalls keine hinreichende Entlastung erfahren.

Die Auffassung, bei dem Kindergeldrecht handele es sich um einen Fremdkörper innerhalb des Einkommensteuerrechts, geht daher grundsätzlich fehl. Zwar mag das bisherige Kindergeldrecht auch eine Sozialleistung sein, indem es der Förderung der Familie dient (vgl. § 31 Satz 2 EStG); das gilt aber erst jenseits seiner existenzsichernden Funktion im Einkommensteuerrecht. Aufgrund des verfassungsrechtlichen Auftrags zur vorrangigen Sicherung des Familienexistenzminimums im Einkommensteuerrecht durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes -GG- kann der Gesetzgeber eine effektive Steuerentlastung auch nicht zugunsten einer Sozialleistung austauschen. Dazu hat das BVerfG grundsätzlich festgestellt:

„Ausgangspunkt der verfassungsrechtlichen Beurteilung ist der Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss, als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Dieses verfassungsrechtliche Gebot folgt aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG. Ebenso wie der Staat nach diesen Verfassungsnormen verpflichtet ist, dem mittellosen Bürger diese Mindestvoraussetzungen erforderlichenfalls durch Sozialleistungen zu sichern, darf er dem Bürger das selbst erzielte Einkommen bis zu diesem Betrag - der im folgenden als Existenzminimum bezeichnet wird - nicht entziehen.“

(BVerfG-Beschluss vom 29.5.1990 - 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60).

3. Führt der Gesetzgeber in dem BKG-E diese Grundentscheidung weiterhin zutreffend fort, ist aus Sicht des BDFR denknotwendige Folge und selbstverständlich zu begrüßen, dass die Finanzgerichte nach § 42 Satz 2 BKG-E für die Verfahren hinsichtlich des Kindergarantiebetrages nach dem X. Abschnitt des EStG zuständig bleiben (s. auch Referentenentwurf, S. 92).

Aufgrund der Implementierung in das Steuerrecht, für das die Finanzgerichte die originäre Sachkompetenz aufweisen, spricht sich der BDFR gegen eine Rechtswegvereinheitlichung zur Sozialgerichtsbarkeit aus. Soweit die Sozialgerichtsbarkeit in den bisherigen Stellungnahmen die Materie insgesamt für sich beansprucht hat, sind die dafür angegebenen Gründe u.E. angesichts der nunmehr im Referentenentwurf gewählten – zutreffenden – Systematik jedenfalls nicht stichhaltig.

Sollte man über eine Rechtswegvereinheitlichung überhaupt weiter nachdenken wollen, wäre es allenfalls überlegenswert, die Rechtswegzuständigkeit für den Kindergarantiebetrag (§§ 3 ff. BKG-E) insgesamt in die Zuständigkeit der Finanzgerichte zu überführen, da in § 3 Abs. 1 und 3
BKG-E an steuerrechtliche Maßgaben angeknüpft wird und die Systematik der §§ 3 ff. BKG-E weitgehend derjenigen der bisherigen §§ 62 ff. EStG entspricht. Angesichts der über Jahrzehnte gewachsenen Rechtsprechungspraxis der Finanzgerichte wäre eine solche Konzentration begrüßenswert.

Mit einer Veröffentlichung der Stellungnahme sind wir einverstanden. Gerne stehen wir auch für weitere Stellungnahmen und Anhörungen zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Rüdiger Schmittberg

Dr. Ingo Oellerich

Anke Krautstrunk

Dr. Tobias Schöppner