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Referentenentwurf eines Gesetzes zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

der BDFR bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Referentenentwurf. Nach Beteiligung unserer Landesverbände möchten wir auf die nachfolgenden Punkte hinweisen.

  • Bereits heute wird an der weit überwiegenden Anzahl der deutschen Finanzgerichte - je nach den technischen Möglichkeiten - Videokonferenztechnik eingesetzt. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen in § 91a FGO stellen hierfür kein Hindernis dar.

  • Die Fortentwicklung der Regelungen für den Einsatz der Videokonferenztechnik wird für die Finanzgerichtsbarkeit grundsätzlich begrüßt. Allerdings schießt der Entwurf über das Ziel der Förderung des Einsatzes der Videokonferenztechnik jedenfalls für die Finanzgerichtsbarkeit als öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeit hinaus. Vorzugswürdig wäre – wie es auch für die Sozialgerichtsbarkeit beabsichtigt ist - eine Beibehaltung und Modifizierung der Regelungen in der Finanzgerichtsordnung (vgl. § 91a FGO). Nur hierdurch können die besonderen Verhältnisse des finanzgerichtlichen Verfahrens hinreichend berücksichtigt werden.

  • Zur Durchführung von Videoverhandlungen müssen Mindeststandards für die technische Ausstattung der Räume und Voraussetzungen für die Identifizierbarkeit von Beteiligten, Zeugen etc. definiert werden. Dabei sind auch weitere Sicherheitsmaßnahmen zu implementieren. Insbesondere müssen die Richterinnen und Richter – wie auch die Beteiligten und die Zeugen – vor unzulässigen Aufzeichnungen und der Verbreitung im Internet wirksam geschützt werden.

  • Es muss für die Verfahren vor den Finanzgerichten darüber hinaus geklärt werden, wie die Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 AO) bei der Durchführung von Videoverhandlungen sichergestellt wird.

  • Die Gerichte müssen mit der erforderlichen Technik und speziell geschultem Personal zur Durchführung der Videoverhandlungen ausgestattet werden. Dies wird – zumindest in einigen Ländern – erhebliche Kosten verursachen. Insoweit ist die Angabe des Erfüllungsaufwandes der Verwaltung unter E.3 kaum geeignet, den zu erwartenden Aufwand abzubilden.

  • Die vorgesehene Pflicht zur Begründung verschiedener prozessleitender Verfügungen zur Durchführung der Videoverhandlung birgt die Gefahr von Verzögerungen bis hin zur Vertagung von Verhandlungen.

  • Für das finanzgerichtliche Verfahren sollte klargestellt werden, dass ablehnende Beschlüsse gegen einen Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung – wie bisher – nicht beschwerdefähig sind.

 

Im Einzelnen:

Zu Art. 1 Nr. 2

§ 193 Buchst. a GVG-E

Die Möglichkeit, die Beratung und Abstimmung der Richterinnen und Richter ganz oder teilweise per Bild- und Tonübertragung durchzuführen, wird begrüßt. Solange die Steuerakten der Finanzverwaltung nicht elektronisch an das Gericht zu übersenden sind, wird das Gericht diese Möglichkeiten jedoch nur sehr eingeschränkt nutzen können, weil die Steuerakten nicht unter den Richterinnen und Richtern über den Bildschirm geteilt werden können.

Zu berücksichtigen ist auch, dass durch organisatorische und technische Maßnahmen nicht nur die Wahrung des Beratungsgeheimnisses, sondern - im finanzgerichtlichen Verfahren - auch des Steuergeheimnisses sichergestellt werden muss.

Zu Art. 3 Nr. 5

§ 128a Abs. 1 ZPO-E

Es ist erforderlich, dass die technischen Mindestanforderungen an die Ausstattung für die Durchführung einer Videoverhandlung konkretisiert werden. Viele Kamerasysteme lassen es nicht zu, sowohl den vollständigen Senat als auch die Beteiligten im Bildbereich der Anlage zu positionieren. Insbesondere bei Zeugenvernehmungen können Situationen entstehen, in denen ein mittels Videokonferenz zugeschalteter Beteiligter das Gericht, den anderen Beteiligten oder den Zeugen nicht sehen kann. Eine solche „Nichtsichtbarkeit“ könnte einen revisibelen Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens darstellen.

Ebenso ist erforderlich, dass Voraussetzungen für eine hinreichende Identifizierung der Beteiligten oder Zeugen für die Teilnahme an einer Videoverhandlung bestimmt werden. Bereits heute können Audios und Videos durch Techniken der künstlichen Intelligenz so abgeändert und verfälscht werden (Stichwort: „Deepfakes“), dass sie realistisch wirken. 

§ 128a Abs. 2 ZPO-E

Auf übereinstimmenden Antrag soll die Videoverhandlung gemäß § 128 a Abs. 2 Satz 2 ZPO-E angeordnet werden. Über eine Ablehnung eines Antrags entscheidet das Gericht durch Beschluss (§ 128a Abs. 2 Satz 3 ZPO-E), der zu begründen ist (§ 128 a Abs. 2 Satz 4 ZPO-E).

Soweit § 128a Abs. 2 ZPO das Ermessen des Gerichts dahingehend einschränkt, dass bei übereinstimmendem Antrag der Beteiligten online verhandelt werden soll, wird diese Regelung abgelehnt. Die Verfahrensgestaltung sollte – wie seit jeher – beim erkennenden Gericht liegen. Die hier angedachte mit einer Beschwerdemöglichkeit bewehrte Soll-Regelung bei übereinstimmenden Anträgen der Parteien schränkt diese für das rechtsstaatliche Verfahren unabdingbare Kompetenz in einem Ausmaß ein, das die Akzeptanz der Digitalisierung in der Richterschaft erheblich behindern wird. Die vorgesehene Begründungspflicht für ablehnende Entscheidungen zwingt die Gerichte, ihre Einschätzung der Beteiligten und des bisherigen Prozessverlaufs vorab offenzulegen. Es ist auch nicht ersichtlich, wie die mit der Beschwerde angefochtene Ermessensentscheidung zur Notwendigkeit einer Präsenzverhandlung sinnvoll überprüft werden soll.

Damit stellt die Regelung einen weitreichenden Eingriff in die richterliche Autonomie dar und steht im Widerspruch zu den Verfahrensordnungen, wonach das Gericht Herr des Verfahrens ist. Letztlich muss es allein der Einschätzungsprärogative des Gerichts unterliegen, welche Fälle es für eine Videoverhandlung geeignet hält und welche nicht.

Auch lässt sich der im Finanzgerichtsprozess geltende Amtsermittlungsgrundsatz mit der vorgesehenen Ermessenslenkung nur schwer vereinbaren. Während im Zivilprozess die Dispositionsmaxime gilt, muss das Finanzgericht den Sachverhalt gemäß § 76 FGO von Amts wegen erforschen.

§ 128a Abs. 3 ZPO-E

Die Regelung schafft einerseits eine Flexibilisierung für die Beteiligten, an der Videoverhandlung teilzunehmen, wenn diese angeordnet wird. Andererseits wird kein Beteiligter zu einer Teilnahme an der Videoverhandlung gezwungen, da er sich durch einen entsprechenden Antrag nach § 128a Abs. 3 ZPO-E davon befreien lassen kann. Diese Regelungen ermöglichen es, dem Gericht einen hinreichenden Freiraum für Videoverhandlungen zu geben und gleichzeitig den Belangen der Beteiligten zu entsprechen. Dies ist als Konsequenz aus der in § 128a Abs. 2 ZPO-E vorgesehenen Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, für die eine überzeugende Begründung allerdings fehlt, zu begrüßen.

§ 128a Abs. 4 ZPO-E

Mit der hier vorgesehenen örtlichen Flexibilität auch der Richterinnen und Richter soll ersichtlich das Verhandeln aus dem Homeoffice ermöglicht werden. Dass diese Möglichkeit in Zeiten mit besonderen Umständen, wie etwa bei Einschränkungen der Bewegungsfreiheit angesichts einer Pandemie, wünschenswert ist, ist nachvollziehbar.

Die mit den neuen Möglichkeiten einhergehende Gefahr, dass solche „virtuellen“ Verhandlungen von den Beteiligten nicht angemessen „ernst genommen“ werden könnten, sollte jedoch angesichts der Erosion des Respekts vor Institutionen staatlichen Handelns nicht als gering eingeschätzt werden. Auch wenn die Verfahrensgestaltung weiterhin beim erkennenden Gericht liegt, ist zu befürchten, dass durch die Aufnahme einer solchen Regelung seitens der Beteiligten ein Druck auf das Gericht aufgebaut wird, der es zweifelhaft erscheinen lässt, dass der jeweilige Spruchkörper in jedem Fall die im Einzelfall für notwendig erachtete Verfahrensweise wählen kann.

Zur Sicherung des Steuergeheimnisses regen wir dringend an klarzustellen, dass die Regelung des § 52 Abs. 2 FGO von dieser Regelung nicht berührt wird.

§ 128a Abs. 5 ZPO-E

Wenn durch diese Regelung die Möglichkeit einer rein virtuellen Verhandlung geschaffen wird, gelten die zu § 128a Abs. 4 ZPO-E geäußerten Bedenken erst recht.

Dass die Videoverhandlungen zur Herstellung der Öffentlichkeit in das Gerichtsgebäude übertragen werden sollen, ist angesichts des fundamentalen Grundsatzes der Öffentlichkeit der Verhandlung konsequent. Allerdings wird hiermit die Grenze zum „Court-TV“ zumindest gestreift. Dagegen bestehen jedoch erhebliche Bedenken. Die Frage, ob die Sitzungspolizei in dem „öffentlich zugänglichen Raum“ weiterhin bei der/dem Vorsitzenden liegen soll, wird nicht behandelt. Dieses ist ein erheblicher Mangel der vorgeschlagenen Regelung. Es muss in gerichtsverfassungsrechtlich unmissverständlicher Weise entschieden werden, ob die Sitzungspolizei in diesen Fällen der/dem Vorsitzenden oder der Gerichtsverwaltung obliegt.

§ 128a Abs. 6 ZPO-E

Zwar soll nach § 128a Abs. 6 Satz 3 ZPO-E den Verfahrensbeteiligten und Dritten untersagt sein, die Videoverhandlung aufzuzeichnen. Gleichwohl muss damit gerechnet werden, dass es Verfahrensbeteiligte oder Dritte geben wird, die sich unentdeckt über dieses Verbot hinwegsetzen, die Verhandlung aufzeichnen und später im Internet verbreiten, zumal das Verbot angesichts der bereits heute bestehenden technischen Möglichkeiten kaum effektiv kontrollierbar ist. Dadurch besteht die reale Gefahr, dass der Staat und seine Bediensteten offen diffamiert werden.

Die verschiedenen Dienstherren werden Richterinnen und Richter hiervor wirksam schützen müssen. Auch die weiteren Beteiligten und etwaige Zeugen müssen hiervor geschützt werden. Wenn (unzulässige) Mitschnitte verbreitet werden, muss die Weiterverbreitung umgehend unterbunden werden. Hierfür muss auch der Bund Sorge tragen und die Länder entsprechend – z. B. durch die Schaffung der erforderlichen Rechtsgrundlagen – befähigen. Dabei bleibt völlig unklar, ob das in der Gesetzesbegründung (S. 41) genannte „Digital-Rights-and-Privacy-Management-System“ zu einer wirksamen Abwehr in der Lage ist.

Schließlich sollte erwogen werden, den Verstoß gegen das Aufzeichnungsverbots – und daran anschließend des Verbreitungsverbots – als Straftat in den 7. Abschnitt des StBG – Besonderer Teil aufzunehmen.

§ 128a Abs. 7 ZPO-E

Der ablehnende Beschluss gem. § 128a Abs. 2 Satz 3 ZPO-E soll nach dieser Vorschrift mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sein.

Dies gilt indes nicht für das finanzgerichtliche Verfahren, denn die sofortige Beschwerde ist dem zivilgerichtlichen Verfahren (§ 567 ZPO) vorbehalten. Die FGO kennt das Institut der sofortigen Beschwerde nicht, sondern nur eine Beschwerde nach § 128 FGO.

Zu Art. 3 Nr. 6

§ 129a Abs. 2 ZPO-E

Die Einführung einer elektronischen Rechtsantragstelle wird begrüßt. Voraussetzungen für eine hinreichende Identifizierung der Antragsteller müssen konkretisiert werden (Stichwort: „Deepfakes“).

Zu Art. 3 Nr. 9

§ 160a Abs. 1 ZPO-E

Zunächst wird darauf hingewiesen, dass der Streitwert im finanzgerichtlichen Verfahren in einigen Fällen erst nach der Beendigung des Verfahrens endgültig bestimmt werden kann. Eine ermessenslenkende Vorschrift, die vom Streitwert abhängig ist, wird daher kritisch betrachtet. Hier sind unnötige Streitpunkte vorprogrammiert.

Die vorgesehenen Aufzeichnungen werden erhebliche Datenmengen produzieren und Speicherkapazitäten in Anspruch nehmen. Die Gerichte müssen rechtzeitig mit der hierfür erforderlichen Technik ausgestattet werden.

Grundsätzlich wird der Mehrwert der Regelung in Frage gestellt, da die Aufzeichnung lediglich Grundlage für die Anfertigung des Protokolls sein soll, d. h. sie wäre mit erheblichem Aufwand zu verschriftlichen. Wünschenswert wäre, dass die Aufzeichnung das Protokoll - jedenfalls insoweit - ersetzt.

§ 160a Abs. 5 ZPO-E

Wenn die Beteiligten Einsicht in die Aufzeichnungen erhalten können und diese Einsicht in entsprechender Anwendung von § 299 Abs. 3 ZPO „durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf oder durch Übermittlung des Inhalts der Akten auf einem sicheren Übermittlungsweg“ erhalten können, würde dies bedeuten, dass Mitschnitte der Videoverhandlung an die Beteiligten herausgegeben werden. Auch insoweit muss eine wirksame Schutzmöglichkeit vor (unzulässiger) Weiterverbreitung geschaffen werden. Derzeit ist nicht erkennbar, dass und wie dies gewährleistet werden könnte.

Zu Art. 3 Nr. 17

§ 284 Abs. 2 ZPO-E

Die Möglichkeit zur Anordnung einer Videobeweisaufnahme durch das Gericht wird begrüßt, wenn auch die geeigneten Fälle eher als gering eingeschätzt werden. Als organisatorische Herausforderung dürfte die sich oftmals erforderliche Anordnung des Aufenthalts von Zeugen und Beteiligten in einer vom Gericht „näher zu bestimmenden Gerichtsstelle“ erweisen, da in der Fläche selten ausreichend Räume mit entsprechender Ausstattung vorhanden sein dürften.

Zu Art. 9 Nr. 6

Die wesentlichen Neuregelungen der ZPO zur Videoverhandlung sollen dergestalt in die Finanzgerichtsordnung übertragen werden, dass § 91a FGO aufgehoben wird (Art. 9 Nr. 6). Zukünftig würde dann § 128a ZPO-E über die allgemeine Verweisungsvorschrift des § 155 Satz 1 FGO Anwendung finden, soweit die FGO keine eigenen Bestimmungen über das Verfahren (mehr) enthält.

Die Aufhebung von § 91 a FGO wird kritisch gesehen, weil hierdurch den Besonderheiten des finanzgerichtlichen Verfahrens nicht mehr zielgenau Rechnung getragen werden kann. 

Das finanzgerichtliche Verfahren ist gekennzeichnet durch den Umstand, dass das Finanzgericht ohne Streitwertabstufungen die erste und einzige Tatsacheninstanz ist und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln hat. Es gibt keinen Vertretungszwang, so dass auch der Steuerbürger als Kläger auftritt. Auf der Beklagtenseite treten in der Regel die Finanzämter oder die Familienkassen auf, wobei die Finanzämter die Steuerakten weiterhin in Papierform an das Gericht übersenden. Im häufigen Fall einer Verhandlung und Entscheidung durch den Senat sind neben 3 Berufsrichtern 2 ehrenamtliche Richter tätig, die erstmalig in der Verhandlung mit dem Fall befasst sind.

Es bleibt unklar, warum eine Übertragung der Regelungen der ZPO auf die FGO angestrebt wird, dies aber für die Sozialgerichtsbarkeit nicht gelten soll.

Der Referentenentwurf (S. 24 f.) begründet dies damit, dass eine vollständige Übernahme des § 128a ZPO-E für die Sozialgerichtsbarkeit zu weitgehend wäre, da hier die Rolle und Bedeutung der mündlichen Verhandlung in Bezug auf die sozialen Rechte der Bürgerinnen und Bürger in Verbindung mit der Fürsorgepflicht des Sozialstaats berücksichtigt werden müsse. Insbesondere im Hinblick auf die mitunter existenzsichernden Sozialleistungen müsse es für die häufig gerichtsunerfahrenen Verfahrensbeteiligten möglich bleiben, das eigene Anliegen dem/der Vorsitzenden, den ehrenamtlichen Richterinnen und Richtern und der Gegenseite vorzutragen. Im sozialgerichtlichen Verfahren solle sich der gesamte Spruchkörper auch weiterhin im Gerichtssaal gemeinsam einen Eindruck verschaffen, d. h. feine Nuancen und Zwischentöne wahrnehmen sowie jederzeit reagieren und interagieren können sowie die Erkenntnisse und Eindrücke aus der mündlichen Verhandlung gemeinsam vor Ort beraten.

Im Hinblick auf diese Begründung stellt sich allerdings die Frage, ob der im Referentenentwurf gefundene Lösungsweg unter Berücksichtigung einer staatlichen Fürsorgepflicht, die – anders als im Entwurf beschrieben – nicht nur aus dem Sozialstaatsprinzip entspringt, sondern allgemein dem Rechtsstaatsprinzip immanent ist, zu einem Wertungswiderspruch führt. Unbestritten ist dabei zunächst, dass die Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit häufig existenziellen Charakter haben und die klagenden Bürgerinnen und Bürger – wenn sie nicht anwaltlich vertreten sind – regelmäßig nicht mit gerichtlichen Verfahren vertraut sind.

Eine vergleichbare Konstellation ist jedoch häufig auch vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit (wie auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit) anzutreffen. Die Situation vor diesen Gerichten wird nämlich ebenfalls maßgeblich dadurch charakterisiert, dass sich die klagenden Bürgerinnen und Bürger im Widerstreit mit der staatlichen Exekutivgewalt befinden. Diese Rechtsbeziehung zwischen Bürgerinnen und Bürgern mit der Exekutive ist dabei immer noch durch ein strukturelles Über- und Unterordnungsverhältnis gekennzeichnet. Die Bürgerinnen und Bürger stehen einem organisierten und bisweilen anonymen, jedenfalls aber auf rechtliche Auseinandersetzungen vorbereiteten Verwaltungsapparat gegenüber. Auch kann keinesfalls davon ausgegangen werden, dass die Bürgerinnen und Bürger im finanz- bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren regelmäßig über mehr Prozesserfahrung verfügen würden als im Sozialprozess. Überdies ist es auch im finanz- bzw. verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Bürgerinnen und Bürgern möglich, zumindest die erstinstanzlichen Prozesse selbst zu führen (§ 62 Abs. 1 FGO bzw. § 67 Abs. 1 VwGO).

Dass die vor den Gerichten der Finanz- bzw. Verwaltungsgerichtsbarkeit verhandelten Rechtsfragen gegenüber denjenigen, für welche die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist, für die Bürgerinnen und Bürger keine bzw. nur im geringeren Umfang existenzielle Bedeutung haben, trifft ebenfalls nicht zu. Für die Finanzgerichtsbarkeit seien hier im materiellen Steuerrecht beispielhaft nur die Verfahren in Kindergeldsachen (§§ 62 ff. des Einkommensteuergesetzes – EStG) sowie Fragen der Freistellung des steuerlichen Existenzminimums über die Anwendung der Vorschriften über außergewöhnliche Belastungen (§§ 33 bis 33b EStG) oder den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende (§ 24b EStG) genannt. Im Steuerverfahrensrecht haben die Finanzgerichte überdies beispielsweise über den Erlass bzw. die Stundung von Steuerforderungen aus – häufig sozialen – Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden.

Es ist daher erforderlich, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Besonderheiten der Fachgerichtsbarkeiten stärker in den Blick zu nehmen, welche nicht über Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgerinnen und Bürgern untereinander zu entscheiden haben, sondern Rechtschutz gegen Maßnahmen der staatlichen Gewalt gewährleisten.

Gegenüber einer Aufhebung von § 91a FGO vorzugswürdig wäre eine Einführung bzw. Modifizierung der für die Videoverhandlung maßgebenden Vorschriften innerhalb der FGO. Hierdurch könnte den Besonderheiten der Finanzgerichtsbarkeit besser Rechnung getragen werden.

Zu Art. 9 Nr. 8

Neben der Aufhebung von § 91a FGO sollen zugleich in § 128 Abs. 2 FGO-E die Wörter „Beschlüsse nach §§ 91a und 93a“ gestrichen werden (Art. 9 Nr. 8), wobei § 91a FGO in Abs. 3 Satz 2 bislang eine Unanfechtbarkeit von Beschlüssen nach dem bisherigen § 91a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 FGO (Gestattung zur Durchführung einer Videoverhandlung) vorsieht.

Falls aus der Streichung in § 128 Abs. 2 FGO-E folgen soll, dass im finanzgerichtlichen Verfahren gegen einen Beschluss nach § 128a Abs. 2 Satz 3 ZPO-E die Beschwerde an den Bundesfinanzhof (BFH) gemäß § 128 Abs. 1 FGO gegeben sein soll, wird dies abgelehnt.

Die Finanzgerichte sind, wie die Oberlandesgerichte, obere Landesgerichte. Gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte findet die sofortige Beschwerde gem. § 567 ZPO grundsätzlich nicht statt. Es besteht kein Grund, warum demgegenüber gegen Beschlüsse der Finanzgerichte der Rechtsweg gem. § 128 FGO zum Bundesfinanzhof eröffnet werden soll.

Außerdem war auch nach bisherigem Recht gegen Beschlüsse nach § 91a FGO die Beschwerde gem. § 128 Abs. 2 FGO nicht statthaft. Es ist kein Grund erkennbar diese Rechtslage zu ändern.

In § 128 Abs. 2 FGO-E sollte daher jedenfalls klarstellend aufgenommen werden, dass Beschlüsse nach § 128a Abs. 2 Satz 3 ZPO nicht mit der Beschwerde angegriffen werden können.

Zu Art. 10

Die Abschaffung der Pauschale für die Inanspruchnahme von Videokonferenzverbindungen wird begrüßt. Die bisherige Abrechnung war aufwändig und fehleranfällig. Es ist zeitgemäß und insbesondere bürgerfreundlich, auf diese Pauschale zu verzichten.

Zu Art. 14

Viele vorgesehene Möglichkeiten erfordern umfangreiche Vorbereitungsmaßnahmen. Insoweit ist – nach Abstimmung zwischen Bund und Ländern - hinreichend Zeit für die erforderlichen Maßnahmen einzuplanen.

Abschließend möchten wir noch einmal darauf hinweisen, dass die in Art. 9 des Referentenentwurfs für die Finanzgerichtsbarkeit vorgesehenen Regelungen aus den verschiedenen in den vorstehenden Ausführungen aufgeführten Gründen in dieser Form nicht notwendig und teilweise nicht sachgerecht sind. Wir regen daher dringend an, die erwünschte Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik für die Finanzgerichtsbarkeit in § 91a FGO entsprechend der in Art. 7 des Referentenentwurfs für die Sozialgerichtsbarkeit vorgesehenen Regelungen vorzunehmen. Eine unterschiedliche Behandlung der der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verpflichteten öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten ist nicht sachgerecht und daher abzulehnen.

Mit einer Veröffentlichung der Stellungnahme sind wir einverstanden. Gerne stehen wir auch für weitere Stellungnahmen und Anhörungen zur Verfügung.

 

Mit freundlichen Grüßen

Rüdiger Schmittberg

Anke Krautstrunk

Dr. Ingo Oellerich

Dr. Tobias Schöppner